Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Bundestrainer
Eigentlich müssen wir uns Alle riesig freuen, denn in Kürze ist Kick-Off – und endlich schaut die Welt auf Deutschland. Nun paart sich die germanische Überlegenheitsneurose mit dem „Fußball-Fieber“ zu einem pathologischen Cocktail, der manch bedenkliches Symptom hervorruft. Da wäre zunächst das plötzliche Ableben des braunen Plüschtiers
„Goleo“. Der Verkauf des WM Maskottchens blieb hinter den Erwartungen zurück und trieb den (Polstermöbel-) Hersteller Nici in die Insolvenz. Die FIFA streitet diesen Zusammenhang ab und rechnet schulmädchenhaft vor, dass der Umsatz mit dem drollig-debilen Gesellen die Lizenzgebühr (von schätzungsweise 3 Mio. €) um ein mehrfaches
überstiegen haben dürfte. Das genügt nicht, denn schließlich fallen auch Produktions- und Vertriebskosten
an! Inzwischen rechnen Wirtschaftsforscher vor, dass durch die WM in keinem Wirtschaftszweig nennenswerte Zusatzgeschäfte generiert werden – außer, könnte es trauriger sein, bei Flachbildfernsehern und Sportartikeln.
Die Klopapier-Rollen mit Fußballaufdruck, Stückpreis 3,99 €, liegen – oh Wunder – wie Blei in den Regalen. Im Tourismus und in der Werbewirtschaft finden gerade mal Nullsummenspiele statt: BesucherInnen und Anzeigenmotive mit Fußballfokus werden gegen diejenigen ohne einen solchen getauscht. Volks- und betriebswirtschaftlicher Schaden ist derweil aufgrund von TV-bedingten Fehlzeiten und Unaufmerksamkeiten
zu erwarten. Ein dickes Minus dürften die meisten (weltweiten) Sponsoren und (nationalen) Förderer einfahren.
Keiner außer Adidas kann ernsthaft erwarten, die 10 bzw. 40 Millionen Euro und die etwa gleich hohen Zusatzkosten hereinzuholen. So viele DSL-Anschlüsse oder Autoreifen sind nicht zusätzlich zu verkaufen, also reine Markenpflege. In der Hysterie will auch die Bundesregierung nicht hinten anstehen und verpulvert 20 Mio. Euro in ihrer WM-Standort- Kampagne „Deutschland – Land der Ideen“. Der ganze Zinnober um die Zauberer ist das Produkt einer
machtvollen Monokultur: Top Marketer können es sich erlauben, ihr persönliches Hobby (und das ihrer Kumpel) großzügig zu sponsern. Der Kunde zahlt letztlich das absurde Gehalt der Kicker und ihrer beleibten Manager. Am Ende feiert sich eine Männlichkeitskultur, die einheitlicher (und einfältiger) nicht sein könnte: Sprücheklopfen und immer neue Überhöhungen des Sports („meine Religion“) und seiner Akteure („Götter“, „Kaiser“). Wer nicht mitgröhlt oder dem idealtypischen Rauhbein entspricht, sollte sich in Acht nehmen. „Die Welt des Fußballs enthält die Tendenz zum Totalitären“ schreibt zurecht der Theologieprofessor Andreas Merkt in seinem Buch „Fußballgott“. Der Sport, bei dem sich Spieler (!) vor einigen Jahren noch wie kleine Jungs freuen konnte, mutierte zu ernsten
Kämpfen in Arenen, bei denen Aggressivität und primatenhafte Siegerposen dominieren. Längst geht es nicht mehr um den Fußball, sondern um die Leitkultur einer 20-Prozent-Minderheit, die eigene Regeln aufstellt und den öffentlichen Raum sowie die Medien dominiert. Soziologen wissen, dass derartige Massenphänomene, in denen es zu Vergemeinschaftung und Ikonisierung kommt, häufig Ausdruck von Krisen sind. Dass gleichzeitig große Teile der Gesellschaft hierbei herabgesetzt oder ausgegrenzt werden, verschleiert die dominante Gruppe geschickt: Es steht doch jedem und jeder frei, sich dem Fußball-Fetisch unterzuordnen… Zwei Beispiele illustrieren, welche machtbasierten Verschiebungen am Werke sind: (1) In der Fußballnation Deutschland gibt es, anders als in Frankreich, England, Spanien oder Brasilien, keine Mannschaften im Blindenfußball; der wird übrigens mit einem Ball gespielt, der mit rasselnden Kugeln gefüllt ist… (2) Die Nation jubelt zwar über den Weltmeistertitel im Frauenfußball, aber der deutsche Trainer, der für das ferne Griechenland den europäischen Männertitel holte, wurde gleich in den Olymp gehoben. Weiblicher Fußball zählt eben nicht so viel wie der Echte. Glücklicherweise wissen manche Frauen, ihre Vorzüge geschickt im Fußball einzusetzen. Ein bekanntes Kölner Haus mit roter Außenbeleuchtung, in dem fast nur Frauen arbeiten, hat zur WM einen geschäftsträchtigen Slogan an der Fassade angebracht: „Zu Gast bei Freundinnen“. Man bzw. frau kann auch ohne Spitzen-Sponsoring gute Geschäfte mit der WM machen. ms