Die Deutschen sind die Besten
Das Wunder von Bonn bestand in der Nachkriegszeit darin, dass die Deutschen das als Boykott-Label gedachte “Made in Germany” in ein Prädikat umgewandelt haben. Fürderhin stütze es den Glauben, vieles aus deutschen Landen sei Weltspitze, oder müsse es zumindest sein – notfalls wird es dazu gemacht oder erklärt. In diesem Zu-sammenhang versteht es sich von selbst, dass bei Berichten über im Ausland einstürzende Neubauten oder kollabie-rende Brücken ein Seufzen durch die Fernsehstuben des Landes geht, das neben Mitleid nur noch das beruhigende Ge-fühl kennt, dass DAS in Deutschland nicht passieren kann. Umso grummeliger wird die Reaktion, wenn der Bericht hervorhebt, dass unter den Toten oder Verletzten auch zwei oder drei – besonders wertvolle? – Deutsche waren. Ka-tastrophen wie der ICE-Unfall von Eschede oder der Eishallen-Einsturz von Bad Reichenhall treffen die Nation da-her völlig unvorbereitet – und schutzlos. Das Ereignis im bayrischen Kurort hat dazu beigetragen, dass über das tragi-sche Vorkommnis in Kattowitz überaus sachlich berichtet wird und – ausnahmsweise – die dort geltenden Standards nicht in Zweifel gezogen und mit den deutschen Normen verglichen werden.
Im Voralpenland läuft die hektische Suche nach den Schuldigen, geradezu ungläubig müssen frühere Warnungen ak-zeptiert und kommentiert werden. Das Unwohlsein hierbei ist nur allzu verständlich. Gänzlich unverständlich dagegen erscheint die Reaktion der Betreiber deutscher Fußballstadien, die über das in Teilen negative Ergebnis der Stif-tung Warentest empört sind und – allzu hastig – mit Klagen drohen. Welche Arroganz, welche Überheblichkeit und welcher Realitätsverlust treibt kritisierte Sportmanager zu solchen Reaktionen? Das Markenzeichen der Stiftung Warentest besteht darin, die unterschiedlichsten Produkte auf Herz und Nieren zu überprüfen und damit dem über-ragenden Qualitätsanspruch der Deutschen Rechnung zu tragen. Sie ist eine überaus deutsche Erscheinung und dafür viel geliebt. Niemand erwartet, dass die emsigen Tester gleichzeitig Spezialisten für WC-Steine, Winterreifen und Windeln sind. Gleichzeitig wissen Alle, dass zu Beginn jeder Überprüfung die größte Mühe und Sorgfalt auf die Entwicklung der Testkriterien verwendet wird. Den Test der Stadien derart heftig zu kritisieren, spricht für verscho-bene Maßstäbe. Um diese muss es jedoch immer wieder gehen, denn sie führen zu Urteilen, die wir im täglichen Leben einsetzen.
Ich frage mich, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Vogelgrippe ausgerechnet in der Türkei gelandet ist und sich dort ausbreitet, das unterschwellige Urteil über Land und Leute beeinflusst. Was denken wir, wenn wir türkische Bauern mit ihrem Geflügel auf dem Fernsehschirm sehen? Wer ist sich darüber im klaren, dass es ebenso gut Böhmen oder Ostpreußen hätte treffen können? Wer weiß, dass Kleinbauern auch in Deutschland – zum Beispiel in meiner Heimat – einen genauso engen Kontakt mit ihren Tieren unterhalten? Ich wünschte mir mehr Bewusstsein und mehr Objektivität, nicht nur im betrieblichen Kontext, auch im Alltag.
Michael Stuber