Selektive Systemkritik: Das manager magazin berichtet über Diversity
Das manager magazin positioniert sich, nach eigenen Angaben, durch eine analytisch-kritische Berichterstattung. Im Mittelpunkt sollen „nicht die schnellen, spekulativen Nachrichten, sondern fundierte Analysen und gut recherchierte Hintergrundberichte“ stehen. Soweit der Anspruch. Wie es das bunte Blatt in seiner aktuellen Ausgabe für die Diversity-Praxis tut, vergleiche ich diese Zielsetzung mit der Wirklichkeit: Auf knapp 6 Seiten und einem kurzen Online-Traktat lässt Autor Christian Rickens kein gutes Haar an der Vielfaltsförderung der deutschen Wirtschaft. Wie schon in seiner polarisierenden Generalabrechnung mit der Gesellschaft („Die neuen Spießer“ – Ullstein) verlässt sich der Autor mehr auf seine persönliche Einschätzung als auf Erkenntnisse von ExpertInnen. Dabei kommt ihm die mm-Attitüde sehr gelegen, sich vor allem mit seinesgleichen zu umgeben und so speist Rickens seine Abhandlung aus gerade einmal zwei Daten-Quellen: Die aktuelle Hoppenstedt-Zählung der Frauen im Management und Befragungsergebnisse von Egon Zehnder bei „gut 30Unternehmen“.Statt der angepeilten fundierten Analysen präsentiert der Artikel verpeilte Süffisanz. Dazu wählt Rickens geschickt Daten und Zitate aus, die seine abwertende Botschaft stützen. Rigorose Rhetorik statt professionellem Journalismus. Auch das erinnert an seine Abrechnung mit dem Spießertum. Er fühlt sich berufen, zu einer Fülle von Themen Kritik zu äußern, verschweigt jedoch in seinem Diversity-Beitrag durchausvorhandene Verbesserungsansätze. Dabei will man Rickens gerne glauben, dass er mit seinen aufrüttelnden Schriften die Situation verbessern möchte. Grundsicherung für alle – und eine Führungsposition dazu. Seine Ideen weisen jedoch eklatante Inkonsistenzen auf: Während er für Deutschland glaubt, das politische Systemmüsse verändert werden (nicht die Menschen umerzogen), prangert er – zu recht! – das monokulturelle Verhalten der Wirtschaftsakteure an. Allerdings schadet sein aktueller Artikel der zukunftsorientierten Weiterentwicklung der Wirtschaft sehr, denn er diskreditiert derzeitige Diversity-Initiativen und verschweigt die strategische Bedeutung der Aktivitäten. Aber zur Sache selbst: Es gibt nichts daran zu beschönigen, dass die einzige Hoppenstedt-Zahl, die sich im Vergleich zuvor einem Jahr verschlechtert hat, der Frauenanteil im Topmanagement von Großunternehmen ist. Es gibt auch nichts daran zu deuten, dass Deutschland im internationalen Vergleich weit hinten liegt – sowohl was den Anteil von Frauen in Führungspositionen angeht, als auch die Art der Berichterstattung über Frauen in den Medien. Alle anderen Zahlen haben sich jedoch seit Beginn dieser Zeitrechnung (1995) fast kontinuierlich verbessert. Dies bildet die eigentliche Kernbotschaft der aktuellen Auswertung: Die Pipeline weiblicher Topkräfte ist gewachsen: 26,36 % des mittleren Managements der Wirtschaft (bzw. 17,38 % in Großunternehmen) sind weiblich. Für die Zukunft bilde dies eine entscheidende Zahl, denn etliche Untersuchungen zeigen, dass die wichtigste Voraussetzung für mehr Frauen in Topgremien ihre Existenz im Mittelbau darstellt. Größter Verdienst des mm-Artikels ist, dass er unverblümt einige – sonst verschwiegene – Schieflagen anspricht: Vorurteile, beliebig wechselnde Maßstäbe, Gleichheitszwang, Rambostil. Allerdings macht die Analyse vor dem eigenen Haus und vor den Freunden eine Kehrtwende: Sind es nicht auch die Medien, die ein fahrlässig einseitiges Bild des Top-Managements zeichnen? Schauen Sie nur auf die Titelblätter von mm: Dort finden Sie die von Rickens kritisierte Monokultur, gepaart mit zotigen Schlagworten wie Powerplay, die Mächtigsten, und …Krieg. Von Diversity, weder auf noch im Heft, keine Spur. Kein Wunder, dass es das Magazin damit auf 81 % Männer in seiner Leserschaft bringt! Ein anderer Beitrag zur aktuellen Situation im Top-Management kommt vom Studien-Partner Zehnder selbst. Der Headhunter hat neben dem Executive Search auch das Talent Management (Management Appraisal) im Angebot. Entgegen aller Erkenntnisse über persönliche Subjektivität bedient sich der Berater für die Potenzialeinschätzung fast ausschließlich der Methode des strukturierten Interviews. Ein Branchen- und ein Berufsfeldspezialist sollen gemeinsam eine „objektivere und treffsichere Beurteilung“ gewährleisten. Die weitgehend frauenfreien Zonen „Aufsichtsräte“ und „Energieversorgung“ gehören übrigens zu den Schwerpunkten Zehnders. Aber dies sagt nichts über einen möglichen Zusammenhang aus.