Gastbeitrag: Einseitige, ignorante Werbung

Gespannt waren Insider auf die Werbeblöcke bei “anders Trend“, dem ersten bundesweiten schwulen Fernsehmagazin. Doch über 2 Millionen Zuschauer sahen das, was sie immer sehen: Rollenklischees für Ihn und Sie, traditionelle Familienidylle und den Volkssport Nr. 1: “Freistoß für Bausparen“. Das kann – um im Bild zu bleiben – nur heißen: “Rote Karte“ für Mediaplaner und Marketer wegen einfallsloser Images, die nur die ewig selben Marktsegmente ansprechen!

Übersehen werden nicht nur die stetig wachsenden Gruppen der Nicht-Traditionalisten, sondern auch diejenigen, die sich nicht jeden Tag auf‘s Neue messen und beweisen müssen oder wollen. Übersehen werden auch homosexuelle Frauen und Männer, die — wie bereits in der Schule und am Arbeitsplatz — nur tradierte Vorstellungen von Beziehung und Familie vorgeführt bekommen. Kein Wunder, daß sie sich unberücksichtigt, sogar ausgeschlossen fühlen. Sie haben sich daran allerdings schon gewöhnt. Das aberwitzige daran ist: Einige Marketer glauben tatsächlich, Schwule und Lesben würden bereits durch die gängige Kommunikation erreicht. Wenn man allein nur an die allgemeinen Klischees über Homosexuelle denkt, ist dies allerdings kaum wahrscheinlich. Denkt man indes intensiver darüber nach, dann weiß man sogar, daß es so nicht sein kann.

Die Interpretation von eigentlich hehren Markenwerten ist vielfach und ganz offensichtlich einseitig, eng und klischeehaft auf traditionelle Rollenverständnisse ausgerichtet und unterstellt häufig – auf eine geradezu beleidigende Art und Weise – eine Primitivität der Konsumenten. Moderne Menschen müßten sich daran stoßen, und homosexuelle ganz besonders.

Konkrete Gründe, gerade Schwule und Lesben im Marketing nicht zu berücksichtigen, gibt es indes reichlich: Sie reichen von Informationsdefiziten und einer – unbegründeten – Angst vor Backlashs auf der einen Seite bis hin zu fehlender Professionalität bei den zielgruppenspezifischen Kommunikations – Plattformen und unbeholfenen Agenturen auf der anderen Seite.

Wer allerdings Pioniergeist zeigt, sich gut informiert und Zielgruppenwerte mit den eigenen Markenwelten abgleicht, kann reich belohnt werden. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, den Spagat der Zielgruppe zwischen Integration und spezifischer Lebenswelt nachzuvollziehen und glaubwürdig darzustellen. Allein mit Standard-Anzeigen oder –Spots in einschlägigen Medien ist das Segment mit Sicherheit nicht zu begeistern.

Für 4 Millionen KundInnen lohnt sich eine stimmige Kampagne allemal.

Erstmals veröffentlicht in Der Kontakter 17 / 1999 (26. April)